Sonja Anne Blüml / 13. 09. 2018

Windgeschenke

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Die Luft ein Archipel von Duftinseln.
Schwaden von Lindenblüten
und sonnigem Heu,
süß vertraut,
stehen und warten auf mich
als umhüllten mich Tücher,
von lange her
aus sanftem Zuhaus
von der Mutter gewoben.

Ich bin wie im Traum
und kann den Windgeschenken kaum glauben.
Wolken von Zärtlichkeit
fangen mich ein,
und das Glück beißt seinen kleinen Zahn
in mein Herz.

Hilde Domin, 1953
Nur eine Rose als Stütze. Fischer-Verlag 1978, S. 4

 

 

Hilde Domins Poesie ist kühl und ruhig und auf eindrucksvolle Weise souverän. Ihre früheste Poesie ist Widerspruch und Widerstand, Prüfung und Protest, Revision und Rebellion. In ihren Gedichten verband sie die Vorliebe für die knappe und prägnante, die schmucklose und weitgehend auf Metaphern verzichtende Sprache mit gedanklicher Klarheit. Domins Gedichtbücher sind Bücher, die leben.
Marcel Reich-Ranicki

Hilde Domin
Aufgewachsen in einem großbürgerlich-jüdischen Elternhaus beschrieb sie später ihr Leben als „Sprachodyssee“, blieb jedoch ihrer Muttersprache durch die Jahre des weltweiten Exils hindurch als „unverlierbares Zuhause“ treu – eine wirksame „Alternative zum Selbstmord“. Schwierig gestaltete sich ihre Rückkehr ins Nachkriegswestdeutschland: Exilanten fanden nicht die ihnen gebührende Anerkennung, Hilde Palm benannte sich nach dem Ort ihres letzten Exils in Domin um und schuf eine politisch engagierte, dialogische Dichtung, die in ihrer Einfachheit eine uns heute noch überwältigende Magie entfaltet.
Aus Christoph Klimke: Poesiealbum 308, MärkischerVerlag Wilhelmshorst, Klappentext, 2013

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