Die Suchmaschine Google bekommt jeden Tag 3,5 Milliarden Suchanfragen.
Das sind 40.500 in der Sekunde.
Und weit mehr als das Orakel von Delphi geschafft hätte, damals vor 2500 Jahren im antiken Griechenland.
Zu dieser Zeit konnten die Griechen gerade einmal im Jahr – nämlich am Geburtstag des Apollon – in der Weissagungsstätte Auskunft und Rat einholen.
Das, was heute ein stummer, loser Steinhaufen mit ein paar Tempelresten im Sand ist, galt damals als „simeío kéntro tou kósmou“ – als Mittelpunkt der Welt.
Immer, wenn die Menschen eine wichtige Entscheidung zu treffen hatten, egal ob sie einen Krieg beginnen oder einen Tempel bauen sollten, befragten sie das Orakel.
Der Überlieferung zufolge sollen am Eingang des Tempels von Delphi die berühmten Inschriften „Erkenne dich selbst“ und „nichts im Übermaß“ angebracht gewesen sein. Eine wirklich kluge Anweisung für Fragende aller Art, die Google vermutlich bisher außer Acht gelassen hat. Denn wenn man sich zu Gemüte führt, was Tag für Tag von Hohlköpfen in die blaue Leerzeile des Suchriesen eingegeben wird, erhebt sich im Inneren nur noch ein wehmütiger Klagelaut..
Ist Google eine benebelte Priesterin?
Im Winter legte das Orakel von Delphi sogar eine 3- monatige Pause ein. Auf diese Art hatten die alten Griechen wenigstens genug Zeit, sich in Ruhe zu überlegen, was sie wirklich fragen wollten. Auch das ist heute anders. Google macht nie Urlaub. Und ist jede Sekunde offen für jede noch so banale Anfrage.
Im alten Griechenland bekam nicht jeder sofort Auskunft.
Bevor das Orakel sprach, wartete man auf ein Omen. Das ging ungefähr so:
Ein Oberpriester spritze eine junge Ziege mit eiskaltem Wasser nass. Blieb sie ruhig, fiel das Orakel aus und der Ratsuchende musste einen Monat später wiederkommen. Zuckte die Ziege zusammen, wurde sie als Opfertier geschlachtet und auf dem Altar verbrannt. Dann begannen die Weissagungen. Pythia, die Priesterin begab sich dann zur Heiligen Quelle Kastalia,und trank einige Schlucke heiliges Wasser. Sie wurde nun vor den Altar der Hestia geführt, wo – nach einigen Theorien – aus einer Erdspalte die berauschenden Dämpfe aufstiegen, so dass sie ihre Weissagungen in einer Art Trance machte.
Nein, Google ist keine benebelte Priesterin.
Der GoogleMensch ist gebildet, aufgeklärt und fokussiert auf’s Wesentliche. Sein Wissensdurst ungebremst – die Zeit drängt mit immer neuen Fragen. 24 Stunden am Tag kann er sich den essentiellen Dingen widmen. Zur Hölle mit Pythia.
Und wir bekommen tiefe, wertvolle Einblicke in die wichtigen Fragen des Lebens und das Seelenleben der Herumgooglenden:
leben spinnen im staubsauger weiter?
erfinder eierlikör?
ich will auswandern aber wohin?
wieso will gargamel die schlümpfe fangen?
bin ich schön test für männer
Warum habe ich geheiratet?
nachbarin psycho
darf man als christ ins solarium?
Wie man mit einem Mord davonkommt
katze beißt mich nachts wenn ich schlafe
toilette verstopft pümpel hilft nicht
wozu neigt ein pkw mit hinterradantrieb wenn man in der kurve zu viel gas gibt?
kennt jemand das Lied wo ich suche? hört sich ungefähr so an: dö dö dööööö dödö dödödödödödö
Pythia hätte bei solchen Anfragen vermutlich Schnappatmung bekommen zwischen den berauschenden Dämpfen ihrer heissen Erdspalten. Und sie hätte ganz sicher die 4 Millionen Legastheniker in einen Kurs für neugriechische Orthographie geschickt, die monatlich Facebook und Co in Google eingeben wollen und zwar so:
- Faceboo, Fesbuk, Facebuk und Fehsbook
- Legastenie, Legastheni, Legasteni
- Intellegenz (Tja, wen wundert’s? Intellegenz wird durchschnittlich 90-mal pro Monat bei Google gesucht – vergeblich)
- Kuhle Musik
- Tatsch Handy (Auch beliebt: Tatsch Monitor bzw. der Tatsch Screen Monitor. Manche wollen wissen, was ein Tatsch Down ist.)
Das Hilfreiche ist, dass man beim Fragen immer sofort mit dem Rest der Google-Gemeinde verbunden ist. Und sogleich weitere Begriffe aufpoppen, die ähnliche Suchanfragen darstellen. Das ist schön. Man fühlt sich dann nicht so allein mit seiner Frage. Und vielleicht nicht so blöd.
Ein kleiner aber feiner Unterschied bleibt trotzdem.
Zugegeben, die Fragen heute sind viel toller als damals.
Aber Pythia hat wenigstens geantwortet. Google gibt keine Antworten.
Google sammelt sie…
Ich habe vorhin mal „Delphi“ in Google eingegeben..
und folgendes bekommen: „Top Grieche”
5 von 5 SternenBewertet am 11. Februar 2016 über Mobile-Apps
Einige Treppen nach unten muss man erklimmen, um in der Inneren Laufer Gasse das Delphi zu erreichen. Erwartet wird man dann unten meist von einem Kellner, der einem mit Handschlag persönlich begrüßt. Der Gastraum ist sehr schön eingerichtet. Die Speisen sind sehr gut, der Service auch. Eine top Adresse für Griechenfreunde.“
Das ist wie damals oder?
Naja fast…
whoiscall
Thanks!
Sabine Burkhardt
Einer der besten Titel, die ich in diesem Jahr gelesen habe!