In Chile steht ein Very Large Telescope in der europäischen Südsternwarte. Es ist nicht nur very large, sondern gilt als höchstentwickeltes, optisches Instrument der Welt. Mit diesem Fernrohr schaut der Mensch ins Weltall und macht Aufnahmen mit einer Präzision von Tausendstel Bogensekunden. Das ist etwa so, als würde man aus 3500 Kilometern Enfernung eine 1 Euro Münze orten oder vom Mond aus ein Auto anvisieren und am Nummenschild klar ablesen können, dass der TÜV schon seit 4 Wochen abgelaufen ist.
Die Frage ist: Warum macht er das, der Mensch. Warum fährt er überhaupt nach Chile und stellt da ein very large Teleskop hin? Er könnte ja auch hierbleiben und sich mal um andere Fragen kümmern.
Doch in die Ferne schweifen hat offenbar etwas Reizvolles. Denn jetzt, wo er auf einmal so unendlich weit ins All schauen kann – tausende Lichtjahre entfernt – bekommt er Aufschluss darüber, wie alt das Universum wirklich ist und kann ihm vielleicht so endlich Grenzen setzen.
Es gibt nämlich Kugelsternhaufen, in denen sich wiederum Weiße Zwergsterne tummeln – nachweislich die ältesten Gebilde im All. Bestimmt man das Alter dieser greisen Haufen, kann man daraus Rückschlüsse ziehen, wie oft das Universum schon Geburtstag gefeiert haben muss: nämlich mindestens 13 bis 16 Millarden mal. So viele Kerzen..
Mit seinem Riesenfernrohr späht der Mensch aber nicht nur in die Stern-Friedhöfe dieser Welt, sondern er erlebt auch Entstehung und Geburt: etwa die des jungen Sterns namens HD 100546 – 335 Lichtjahre entfernt. Es findet sich auch ein Baby-Universum direkt nach dem Urknall und viele bahnbrechende neue Erkenntnisse zum Thema Asteroiden, dem Mars oder Exoplaneten.
Ja, es ist schon ordentlich was los, da in Chile.
Und es ist allemal sinnstiftender, die Existenz eines Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße nachzuweisen als selbst in ein solches zu fallen, weil man seit 4 Milliarden Jahren auf einer sich drehenden „Kugel“ mit knapp 1700 Stundenkilometern durchs Sonnensystem rast – ohne zu wissen warum.
Die einen schweifen also in die Ferne, um zurückzuschauen – im Rückblick einzuordnen und zu verstehen. Die anderen wiederum versuchen die Welt zu sortieren, Komplexität zu reduzieren und Unvorhersehbares berechenbarer zu machen, indem sie nach vorne schauen, Prognosen über die Zukunft abgeben und Zukunftsforschung betreiben.
Funktioniert das eigentlich? Bringt das was – und wird uns nicht erst recht das Lachen vergehen, wenn wir wissen, mit welchen Herausforderungen wir in 50 bis 100 Jahren zu kämpfen haben?
Ein Very Large Telescope bringt in Sachen Zukunft jedenfalls keinen Durchblick. Die Zukunft taktet weder in Bogensekunden noch entwickelt sie sich linear aus dem Heute, sondern hängt von unzähligen vorhersehbaren und unvorhersehbaren Einflüssen und Entwicklungen ab. Das Spektrum des Wandels beginnt mit einem konstanten Bereich, geht weiter über erste Veränderungen hin zu steigender Veränderungsdynamik bis hin zum Chaos.
Sehr komplex und sehr unwahrscheinlich, da künftigen Wandel wirklich zu prognostizieren.
Wozu oder wie dann über Zukunft forschen, was macht wirklich Sinn?
Bestimmte Bereiche lassen sich durchaus mit den Methoden der exakten Wissenschaften im Sinne der Zukunftsforschung untersuchen. Zum Beispiel sogenannte
Megatrends
So wirklich vorhersagen muss man sie gar nicht, denn sie sind schon längst da: die Tiefenströme des Wandels. Sie betreffen nicht den Zeitgeist oder Modetrends. Mit Megatrends sind tiefgreifende Veränderungen gemeint, die uns schon jetzt prägen und noch lange prägen werden. Strömungen, die zwar relativ langsam vor sich gehen und sich über mehrere Jahrzehnte hinweg erstrecken, die aber den einzelnen Menschen genauso grundlegend und langfristig beeinflussen wie sämtliche Ebenen der Gesellschaft und sich relativ gut vorhersehen lassen.
Die Erforschung solcher Trends ist inzwischen nicht mehr nur wissenschaftlichem Interesse vorbehalten, sondern auch für die Wirtschaft zu einem wichtigen Baustein in der Unternehmensstrategie geworden. Ob es um steigende Kosten für Ressourcen geht oder der drohende Mangel an Fachkräften wegen des demografischen Wandels – es gilt Antworten zu finden auf die neuen Herausforderungen, wenn man auf dem Markt wettbewerbsfähig bleiben will.
Die wichtigsten Trends, die uns in den nächsten Jahrzehnten nachhaltig prägen werden und über die viel zu lesen sein wird, beziehen sich auf die ganz großen Themen wie Wissenskultur – Konnektivität – Urbanisierung – Ökologie – Globalisierung – Individualisierung – Gesundheit – Arbeit – Gender Shift – Silver Society – Mobilität und Sicherheit.
Die Systeme verändern und durchdringen jetzt schon unser gesamtes Leben, sämtliche Zivilisationsformen, die Ökologie, Technologie und unsere Wertesysteme. Ein Leben, das in 100 Jahren wenig mit dem gemein haben wird, was uns jetzt noch vertraut ist. Die klassische Schule bzw. Bildungseinrichtung sowie den festen Arbeitsplatz wird es wahrscheinlich so nicht mehr geben. Institutionen werden mehr und mehr abgelöst von privaten Einrichtungen und Initiativen. Der in großen Firmenhierarchien angestellte Mensch ist Geschichte. Die neue Welt der Arbeit wird sämtliche Traditionen überholen. Schon jetzt wird durch das Internet und z.B. internationale Online-Lern-Plattformen Bildung demokratisiert. Wissen ist kostenlos oder zu geringen Gebühren leicht zu bekommen. Auch Studenten ohne reiche Eltern haben inzwischen die Möglichkeit, an Elite-Unis wie Harvard oder Berkeley zu studieren – über Plattformen wie Udacity.
Bildung spielt in Zukunft eine lebenswichtige Rolle, über die der Einzelne autonom und individuell nach Lebensumständen entscheiden müssen wird. Der Mensch, sein Wissen, seine kognitiven und emotionalen Fähigkeiten – nicht die Maschinen – rücken zunehmend in den Mittelpunkt, weil es immer wichtiger wird, sich in einer hoch entwickelten und stark differenzierenden Wohlstandsgesellschaft zu orientieren und die globalisierten und komplexen Strukturen, Vernetzungen und Systeme halbwegs überschauen, koordinieren und „handeln“ zu können. Und weil die sich stetig weiterentwickelnden Kommunikations-Technologien für immer neue Vernetzungen und Verbindungen sorgen und alles mit allem kommuniziert, ändert sich natürlich auch die Ausrichtung der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Systeme. Alte Führungs- und Organisationsstrukturen werden durch kollektive Intelligenz und neue Arten von Gemeinschaft ersetzt.
Auch das Thema Gesundheit bekommt eine völlig neue Bedeutung. Nicht mehr die Bekämpfung von Krankheiten wird künftig das Leitmotiv des ökonomischen Kern-Sektors ausmachen sondern die selbstverantwortliche Vorbeugung von Krankheiten und gesunde Lebensführung im Sinne eines „aktiven Lebensgefühls“, das große Märkte wie Fitness, Mindness und Selfness weiter belebt und expandieren lässt. Wellbeing als Ressource in einem künftig nicht weniger stressigen Leben mit steigender Lebenserwartung.
Nicht zu vergessen wir Frauen. Unsere Entwickung in den letzten 30 Jahren in Sachen Bildung in den OECD-Staaten war beispiellos in der Geschichte. Jede zweite junge Frau hat heute Abitur und absolviert mindestens ein Studium, bereist die Welt und ergreift den Beruf, den sie möchte. Frauen haben dadurch an Selbstbewusstsein, Unabhängigkeit und Freiheiten in ihrer Lebensgestaltung enorm gewonnen. Gleichzeitig aber führt der weibliche Bildungsüberschuss zu großen sozio-kulturellen Spannungen und Konflikten in der Gesellschaft, die sich zu einer Art „Gender-War“ entwickeln..
Welche Entwicklungen werden uns noch zu schaffen machen und welche Erfindungen das Leben erleichtern? Ist es noch Science-Fiction oder bald schon Realität: Das Essen aus dem Drucker? Ein Foodprinter, der jetzt schon Kartoffelbrei in Ornament-Optik druckt oder kunstvoll verschnörkelte Nudeln. Für 83.000 Euro könnte man die Antwort testen – soviel kostet momentan der Drucker der Nasa, die damit bereits Astronauten-Nahrung testet. Oder wie wäre es mit der Frischeampel? Schluss mit Gammelfleisch und Etikettenschwindel. Ein Blick auf das intelligente Etikett gibt sofort Aufschluss darüber, wie frisch das Produkt wirklich ist, das wir in Händen halten.
Was also kommt in 50 bis 100 Jahren auf uns zu? Eine ganze Reihe von Zukunftsforschern- und Instituten beschäftigt sich damit intensiv und bietet für nicht wenig Geld dazu detaillierte und stellenweise hochinteressante Infomationen.
Wen es interessiert: einfach mal „Zukunft“ eingeben.
Was früher die Wahrsagerin mit ihrer Kugel schaffte – schaffen wir auf jeden Fall mit „Google“.
Sie sehen schon: Es bleibt spannend – nicht nur in Chile.
Wissenskultur
Lesen Sie hier, wie sich Bildung entwickelt
Konnektivität
Über die Organisation der Menschen in Netzwerken
Urbanisierung
Die Renaissance der Stadt als Lebens- und Kulturform
Ökologie
Globalisierung
Individialisierung
Gesundheit
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Gender Shift
Silver Society
Mobilität
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